Historisches aus dem Musik-Kreis

Lübecker Nachrichten vom 14. 12. 1996

Weihnachtsoratorium aus Kirche in Sporthalle verbannt
Kirche kontra Kantor

LAUENBURG - Von vorweihnachtlicher Ruhe und Zusammenrücken kann in der Kirchengemeinde Lauenburg nicht die Rede sein. Im Gegenteil: Das Verhältnis zwischen Kirchenvorstand und dem beurlaubten Kantor Manfred Schulz ist unterkühlt wie nie zuvor. Der Erste Frostschaden ist entstanden: Das Weihnachtsoratorium mit dem Lauenburger Musik Kreis e.V. darf nicht in der Maria-Magdalenen-Kirche erklingen.
Sebastian Prey:
Die Aufführung des geistlichen Werks von Johann Sebastian Bach wird am Sonntag, 22. Dezember, um 17 Uhr in die Sporthalle am Hasenberg verbannt. "Wir sind fassungslos und traurig", erzählt Ulrich Meyer, der Vereinsvorsitzende des Lauenburger Musik-Kreises. "Aber wir lassen uns nicht einfach auseinanderdividieren", mahnt der 53jährige an und zeigt sich genau wie der gesamte Chor (70 Mitglieder) und Instrumentalkreis (30) solidarisch mit Schulz.
Hintergrund: Anfang April diesen Jahres hat der Kirchenvorstand seinem Kantor Schulz gekündigt Begründet wurde dieser Schritt mit der nicht in das Kirchenbild Lauenburgs passende private Lebensform, sprich seine außereheliche Beziehung. "Modern ausgedrückt", so Pastor Jens Rathjen "verstößt Herr Schulz gegen unsere Firmenpolitik." Seitdem befinden sich Kirche und Schulz im Rechtsstreit. Chor und Instrumentalgruppe des Musik-Kreises lösten sich formell von der Kirche und gründeten einen Verein, um weiterhin unter der Leitung von Schulz zu musizieren. Zwei Gütetermine zwischen Kirchengemeinde und Schulz sind gescheitert.
Der beurlaubte Schulz lehnt eine Abfindung ab, will zurück seinem seit 25 Jahren angestammten Arbeitsplatz. "Wir haben unvereinbare Standpunkte, deshalb wollen wir uns trennen", so Rathjen. Im Februar trifft man sich erneut vor dem Arbeitsgericht Lübeck.
"Wir wollen niemand einen Kunstgenus nehmen. Auch dem Chor soll mit der Entscheidung nicht vor den Kopf gestoßen werden", wirbt Rathjen um Verständnis. Auch wenn die breite Öffentlichkeit nicht diese Meinung vertrete, dürfe man nicht vergessen, dass Schulz gegen die Kirche vor Gericht klage. Wäre der Rechtsstreit beendet, könnte das Oratorium wie in den vergangenen zehn
Jahren in der Maria-Magdalenen-Kirche aufgeführt werden, zieht sich der Pastor auf seinen festen Standpunkt zurück. Und wenn die Kirche kein Recht bekommt? Pastor Jens Rathjen: "Dann müsste der Kirchenvorstand erneut beraten."
Das würde momentan am Ergebnis wohl nichts ändern, mutmaßt Ulrich Meyer. "Die Auseinandersetzung um Kantor Schulz ist ein reiner Stellvertreter-Krieg." Es gehe hierbei grundsätzlich um die Öffnung der Kirche, die der bisherige
 Kirchenvorstand immer von sich weggeschoben habe. In den gerade neugewählten Vorstand (17 Mitglieder) hätten immerhin schon sechs sogenannte Oppositionelle den Sprung geschafft, so dass die Lage der Kirche in Lauenburg noch nicht ganz hoffnungslos sei. "Das Weihnachtsoratorium 1997 wird wieder in der Maria-Magdalenen-Kirche aufgeführt. Und die Leitung hat weiterhin Manfred Schulz inne", blick Meyer optimistisch in die Zukunft.
Auch vor dem Sporthallenkonzert - "Toll, dass die Stadt spontan uns diese Bühne zur Verfügung stellt" - ist ihm gar nicht bange. "Wir werden die Halle ein wenig dekorieren und mit unserer Fröhlichkeit das Publikum überzeugen." Und wer auf das Bach-Weihnachtsoratorium_ in geistlicher Umgebung nicht verzichten mag, muss am Sonnabend, 21. Dezember, nach Geesthacht fahren. Dort ist der Lauenburger Musik-Kreis um 17 Uhr in der St. Petri-Kirche zu Gast.
Unter den erschwerten Umständen, sich jetzt vollständig selbst tragen zu müssen, wird in diesem Jahr auch erstmals Eintritt genommen. Die Karten kosten zehn Mark, ermäßigt sieben Mark.
Von gestern
Von M. MAKOVEC
Was ist bloß mit der Kirche los? Oder besser: Mit deren Repräsentanten? Erst wandte sich die Geistlichkeit in Büchen dagegen, dass ein Bibel-Vortrag in der Marienkirche stattfinden sollte, dann verwehrt in Lauenburg der Kirchenvorstand die Aufführung des Weihnachtsoratoriums in der Kirche. Es sind wohl die Ewiggestrigen. Anders lassen sich derartige Dinge nicht interpretieren. Dass in Buchen der Vortrag gestern Abend doch stattfand, ist auf massive Worte von Bürgermeister Günter Mund zurückzuführen. Und die, so ist zu befürchten, werden in Lauenburg nicht fallen.

FRAGE DES TAGES

Ein Ort für ein Oratorium?
Die derzeitige Situation in Lauenburg ist verzwickt. Der Kirchenvorstand lehnt es ab, die Mitwirkenden an dem Bach'schen Werk in der Maria-Magdalenen-Kirche singen zu lassen. Aber trotz allem: Ist eine Sporthalle der geeignete Ort, ein Weihnachtsoratorium aufzuführen? Was halten Sie davon? 

Ulrich Meyer singt im Chor des Lauenburger Musik-Kreises e.V. an der "Trennstelle zwischen Bass und Tenor" Foto: SEBASTIAN PREY